40 Jahre Bündnis 90/Die Grünen: Von der „Gefahr für das Gemeinwesen“ zur Regierungspartei
Vollbart, Häkelpulli und Birkenstocks. Nein, kein Hipster-Barista in Kreuzberg, sondern die Anfänge der Grünen vor 40 Jahren. Wer hätte gedacht, dass die als „Freaks“ belächelten Grünen jetzt in 14 deutschen Landesparlamenten vertreten sind und einen Ministerpräsidenten stellen?
1993 fusionierte die westdeutsche Gründungspartei Die Grünen und ihr ostdeutsches Äquivalent Bündnis 90 zum Bündnis 90/Die Grünen. Die Gesellschaft war damals eine andere. Es gab keine Smartphones, die Kinder spielten noch Vater-Mutter-Kind und die Welt war geprägt vom Kalten Krieg.
In dieser Zeit den Fokus auf den Umweltschutz zu legen, massiv gegen Atomkraftwerke zu demonstrieren, das Autofahren anzuprangern, ökologische Landwirtschaft zu promoten oder gegen die Abholzung des Regenwaldes anzutreten, war radikal und verlieh der Partei in gewissen Kreisen das „grüne Spinner“-Image.
Vorreiter, Bike-Reiter, Hofreiter
Heute scheint es selbstverständlich, dass das Klima geschützt werden muss und Ressourcen begrenzt sind. Die Grünen haben schon damals Themen in die Öffentlichkeit getragen, die heute die gesellschaftliche Debatte bestimmen. Erneuerbare Energien und saubere Mobilität sind brandaktuell.
Die Forderung, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, lässt sich angenehm mit Fitness, Geldsparen und Umweltschutz verargumentieren. Aber so manche Forderung der Grünen Spitzenpolitiker polarisierten:
In deutschen Kantinen sollte ein Veggi-Day eingeführt werden, oder der Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter forderte das Verbot von Verbrennungsmotoren. Provokation erzeugt Aufmerksamkeit.
Die Vorsitzenden der Grünen spiegeln den Wandel und den Zeitgeist wider. Aktuell erfüllen Annalena Baerbock und Robert Habeck inhaltlich und stilistisch die Erwartungen – nicht nur der Parteimitglieder. Prognosen für die Bundestagswahl 2021 sehen die Grünen als zweitstärkste Partei. Nicht unrealistisch, haben sie bei der letzten Europawahl bereits über 20 % der Stimmen auf sich vereinen können.
Die Grünen im Markencheck
Wovon diese Partei definitiv profitiert: Sie war von Anfang an klar positioniert. Was man nicht von jeder Volkspartei sagen kann. Lange sind die Zeiten vorbei, als man einen Bundestagsabgeordneten an seiner Kleidung erkannte. Provokation durch Äußerlichkeiten ist nicht mehr notwendig. Einmal mehr ein Beleg dafür, dass die Themen, die im Kern des Parteiprogramms stehen, in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.
Positionierung: spitz und eindeutig
Glaubwürdigkeit: hoch
Reputation der Parteivorsitzenden: Intelligent, nicht dogmatisch.
Stärken: Hartnäckigkeit.
Abgrenzung: Derzeit hoch. Sollten andere Parteien die Bedeutung des Themas Klima- und Umweltschutz erkennen und glaubwürdig angehen, so wie es Herr Söder in Bayern vermittelt, könnte dies die Relevanz der Grünen beeinträchtigen.
Heute skandiert die FridaysForFuture Bewegung die Kehrtwende zu einer nachhaltigeren Politik, lauter denn je.
„Nachhaltige Fashion ist in Mode. Keiner wird mehr für seine Hanfleinenhose made in Portugal ausgelacht. Das Einkaufen im Bio-Markt ist ein Statement und ein nachhaltiger Beitrag an die Welt von morgen.“
Die Grünen sind mit ihrer politischen Haltung, 40 Jahre nach ihrer Gründung, näher am Zeitgeist als die etablierten Parteien und erfahren jetzt die Anerkennung für ihre jahrzehntelanges Schwimmen gegen den Strom. Die bevorstehenden Kommunalwahlen in Bayern werden zeigen, ob es weiter aufwärts geht.
Und wer weiß, vielleicht wird eines Tages der Meat-Day eingeführt (auf Druck der Lobby der Fleisch-„Produzenten“), damit in den Kantinen wenigstens einmal die Woche Fleisch auf dem Speiseplan steht.
Bildquelle: Greg Bakker und Jonathan Kemper auf Unsplash