Wie sozial sind soziale Medien?
Seit Kurzem läuft auf Netflix die Dokumentation „The Social Dilemma“. Eine zugegebenermaßen recht einseitige Beschreibung der Technologie und Intelligenz hinter unserem Social Media Feed. Darin kommen ehemalige Mitarbeiter der großen Technologie-Konzerne, Wissenschaftler und Branchen-Spezialisten sowie Technologie-Ethiker zu Wort.
Eins vorweg genommen: der gemeinsame Tenor beschreibt, dass die sozialen Medien und angeschlossenen Technologien nicht nur die Macht besitzen Menschen zu manipulieren, sondern dies auch im großen Stile tun.
Wenn das Produkt nichts kostet, bist Du das Produkt.
Viele unserer Lieblings-Apps auf dem Smartphone sind kostenlos. Instagram, Facebook (für die etwas Älteren), YouTube, TikTok und Co. sind alle vollkommen frei verfügbar. Abgesehen von ein paar Premium Features haben wir, ohne einen Cent dafür zu bezahlen, Zugriff auf den vollen Funktionsumfang von Apps, deren Entwicklung tausende Personentage verschlungen hat. Und die immer weiterentwickelt werden, um Sicherheitslücken zu schließen, neue Features bereitzustellen und so weiter.
Wer bezahlt das? Definitiv nicht der User. Also läuft die Monetarisierung über Werbetreibende auf den Plattformen. Und die Plattform, die der Marke die präzisesten und attraktivsten Plätze auf den Endgeräten der Zielgruppe verspricht, wird gekauft. Dementsprechend werden wir User zum Produkt, das verkauft wird. An dieser Stelle muss jeder für sich entscheiden, ob ihm die Convenience der Apps so viel wert ist, dass die App dafür unsere Motive, Hobbys und Interessen (größtenteils anonymisiert) an Marken, Produkte und Services preisgibt.
Wie war das jetzt mit der Beeinflussung von Wahlen?
Es ist unbestritten, dass kluge Algorithmen dafür genutzt wurden, Wahlen in den letzten Jahren zu beeinflussen. Letztendlich aber auch kein neues Phänomen. Politiker gehen seit Jahrhunderten in Wahlbezirke, in denen sie potentielle Wähler umstimmen möchten, von Tür zu Tür, auf den Marktplatz und auf Feste. Gerade in den USA ist der Wahlkampf ja ohnehin ein echtes Werbe-Spektakel. Dass nun ein virtueller Weg genutzt wird, ist zwar bezüglich des Kanals neu, aber wenig überraschend. Dass über diesen Kanal, dann Fake-News geteilt wurden, ist aber weniger Schuld der Technologie als der (mit Verlaub) manipulativen Menschen in den Wahlkampfbüros. Das ist definitiv falsch, schlecht und muss in Zukunft über Technologien verhindert werden. Am besten automatisch, denn das hat nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun.
Nichtsdestotrotz war Wahlkampf schon immer ein Geschäft von Manipulation, Intrigen und Kriminalität. Jetzt eben auch auf dem digitalen Schlachtfeld.
Wie funktioniert die Manipulation?
Machen wir es kurz und einfach: ein User wird aufgrund seiner Vorlieben, Neigungen und Einstellungen (messbar auf Basis unserer Historie im Netz) kategorisiert. Wer potentiell manipulierbar für eine Verhaltensänderung oder eben eine Stimmabgabe ist, wandert in eine Audience, die dann bespielt werden kann. Umso spezifischer diese Audience definiert ist, desto attraktiver, aber auch teurer wird sie für den Werbenden. Einmal in einer solchen Zielgruppe gelandet, erhalten wir dann auf allen Kanälen Werbebotschaften (aber auch vermeintlich redaktionelle Inhalte), die unser Verhalten ändern sollen. Algorithmen kennen uns User dabei so gut, dass sie genau messen können, an welcher Stelle in unserem Feed eine Anzeige am wirksamsten ist. Frei nach dem Motto: zwei Katzenvideos, drei Landschaftsaufnahmen, JETZT ist der richtige Zeitpunkt für die Anzeige bei User X.
Und natürlich findet diese Beeinflussung nicht nur bei der Werbung für Produkte und Wahlen statt, sondern auch um Menschen für eine Ideologie zu begeistern. So wie wir es gerade auch bei vielen Gruppen wie den Querdenkern, Corona-Leugnern, etc. sehen.
Fazit zum Netflix Original
Absolute Guck-Empfehlung, um die Logik der Algorithmen in den Grundzügen zu verstehen. Für mich persönlich ist die Dokumentation ein wenig zu einseitig und nimmt den User selbst zu sehr aus der Verantwortung. Eine sinnvolle Sozialisierung und Ausbildung junger Menschen im Umgang mit den Kanälen wäre deutlich sinnvoller, als die Forderung von Shoshana Zuboff: „Wir sollten sie verbieten. Das ist keine radikale Position. Das machen wir bei anderen Märkten wie dem Organ- und Sklavenhandel auch.“ – das selbe Argument nutzte sie übrigens auch, um gegen Gesichtserkennung und andere Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte zu argumentieren.
Wichtig: jeder sollte das Gesehene kritisch hinterfragen. Genauso aber auch seinen eigenen Umgang mit sozialen Medien. Was glaube ich? Was verfolge ich? Was lasse ich zu? Was sind meine Instanzen?